08.05.2022

spuren & narben – zeit.zeugnisse

Buchvorstellung und Gedenkveranstaltung

spuren & narben – zeit.zeugnisse ist ein Künstlerbuch von Heike Ellermann, das am 8. Mai, dem Gedenktag zur Befreiung vom Nationalsozialismus, im Zuge der zentralen Gedenkveranstaltung der Freien Hansestadt Bremen am Denkort Bunker Valentin vorgestellt wurde. Frank Imhoff, Präsident der Bremischen Bürgerschaft, eröffnete die Veranstaltung mit einer Ansprache. Als Ehrengäste nahmen Yves und Stanislas Migdal, Sohn und Enkel des französischen Widerstandskämpfers und ehemaligen KZ-Häftlings André Migdal, teil.

Heike Ellermann ist eine Oldenburger Illustratorin und Autorin. Nach einer langen Karriere im Bereich der Bilder- und Jugendbücher weitete sie ihre künstlerischen Aktivitäten aus und stellte die Aspekte Fotografie und Handschrift in den Mittelpunkt ihres Schaffens.

Stanislas Migdal, Heike Ellermann, Yves Migdal (v.l.n.r.) © Denkort Bunker Valentin / LzpB

Für die Gedenkveranstaltung mit Buchvorstellung von spuren & narben – zeit.zeugnisse reiste Yves Migdal mit seinem Sohn Stanislas Migdal von Paris nach Bremen. Yves Migdal ist der Sohn von André Migdal (1924-2007), einem französischen Widerstandskämpfer aus Paris, der 1944 über das Sammellager Compiègne und das Konzentrationslager Neuengamme ins KZ-Außenlager Bremen-Farge deportiert wurde. Im Alter von gerade einmal 18 Jahren musste er auf der Bunkerbaustelle Zwangsarbeit leisten. Nach der Räumung der Lager überlebte er als einer von wenigen die Bombardierung der KZ-Schiffe in der Lübecker Bucht am 3. Mai 1945.

Die Erinnerungen an die grausame Zeit verarbeitete er in Texten und zahlreichen Gedichten, die er als Vermächtnis an die kommenden Generationen verstand. Eines seiner Gedichte ist dauerhaft auf einer Tafel des Rundwegs am Denkort Bunker Valentin zu sehen. André Migdal selbst trug es 1983 zur Einweihung des Mahnmals vor dem Bunker vor.

 Weitere Informationen zum Bild finden Sie im Transkript des Bildes
Das Gedicht von André Migdal wurde für die Veranstaltung an die Bunkerwand projiziert © Denkort Bunker Valentin / LzpB

Transkripte:

Die Auslöschung so vieler Leben durch Verbrechen Ohne Verurteilung, ohne Strafe, quält unser Bewusstsein. Immer im Gedächtnis, gravieren sich die Szenen der Gewalt ein In unser im Innersten verwundetes Fleisch. Wenn wir noch leben nach dieser Prüfung, Müssen wir das Erbe der Lager teilen, Zeugnis ablegen für das Recht im Namen der Fehlenden. Wir sind WAHRHEIT, und die Toten sind unsere BEWEISE. Übersetzung aus dem Französischen von Andrea Spingler
Supprimer d'un seul coup tant de vies par des crimes Ni jugés ni punis, tourmente nos consciences. Toujours mémorisées, ces scènes de violence S'inscrivent dans nos chairs meurtries au plus intime. Si nous sommes vivants par-delà nos épreuves Il nous faut partager l'héritage des camps. Témoigner pour le droit, au nom de nos manquants Nous sommes VÉRITÉ, et les morts sont nos PREUVES. André Migdal (1924-2007)

Dieses Gedicht hat Heike Ellermann zum Gegenstand ihres Künstlerbuchs spuren & narben – zeit-zeugnisse gemacht. Das hochwertige Kunst-Faltbuch lässt sich ziehharmonikaartig aufklappen („Leporello“) und weist eine Länge von ganzen sechs Metern auf. Es enthält 17 Fotografien der Außenwand des Bunkers, auf denen die Einwirkungen von Zwangsarbeiter:innen erahnbar sind, eindrucksvoll verbunden mit dem Gedicht von André Migdal, das Heike Ellermann in 14 europäische Sprachen übersetzen ließ. Mit einem weißen Lackstift übermalte sie die Fotografien mit den Zeilen des Gedichts in Handschrift. Am deutlichsten ist jeweils immer die letzte Zeile zu lesen: „Wir sind WAHRHEIT und die Toten sind unsere BEWEISE“. Den Opfern soll so zu einer bildhaften „Mitsprache“ verholfen werden – Ausdruck des Leidens der Menschen und Erinnerung an ihre Schicksale.

Die Künstlerin Heike Ellermann während ihres Vortrags © Denkort Bunker Valentin / LzpB

Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff leitete die Buchvorstellung, bei der über 135 Gäste anwesend waren, mit einer Rede ein, in der er betonte: „Was für den Frieden gilt, gilt auch für die Demokratie: Beides ist uns nicht ein für alle Male geschenkt worden, sondern muss täglich gestaltet mit Leben erfüllt und wieder und wieder verteidigt und gelebt werden.“

Anschließend sprach Heike Ellermann über den Schaffensprozess von spuren & narben – zeit.zeugnisse. Sie schilderte, wie sie den Bunker zum ersten Mal im Jahre 2004 betrat, zur Aufführung des Theaterstücks „Die letzten Tage der Menschheit“. Die Idee für ein künstlerisches Konzept entstand 2019, als sie an einer Führung am Denkort teilnahm, bei der ihr Zusammenhang zwischen Bunkerbau und Zwangsarbeit klar wurde. Während ihres Vortrags wurden die Fotografien aus spuren & narben – zeit.zeugnisse und das Gedicht von André Migdal großflächig an die Bunkerwand projiziert. Feierlich überreichte Heike Ellermann der Familie Migdal ein Exemplar des Künstlerbuches.

Zum Abschluss der Präsentation kam das Stück Monodram des Komponisten Christoph Keller zur Uraufführung. Das Solowerk für Akkordeon wurde von Ute Pukropski vorgetragen, die einzelne Wörter des Gedichts mit der Musik verschmelzen ließ.

Das Künstlerbuch „spuren & narben – zeit.zeugnisse“ im Inneren des Bunkers © Denkort Bunker Valentin / LzpB
Das Künstlerbuch „spuren & narben – zeit.zeugnisse“ im Inneren des Bunkers © Denkort Bunker Valentin / LzpB
Projektion des Buchcovers auf die Bunkerwand. Davor das ausgeklappte Leporello des Künstlerbuches.
Das Künstlerbuch „spuren & narben – zeit.zeugnisse“ im Inneren des Bunkers © Denkort Bunker Valentin / LzpB

Nach der Veranstaltung wurde spuren & narben – zeit-zeugnisse den gesamten Nachmittag lang im Inneren des Bunkers spektakulär ausgestellt. Von Scheinwerfern beleuchtet, stand es aufgeklappt in seiner ganzen Länge im Depotteil. Die Schatten, die auf die Seiten fielen, ließen den Eindruck einer dreidimensionalen Betonmauer entstehen. Gleichzeitig wurden die einzelnen Fotografien und das Gedicht in riesigem Format an die Wand hinter dem Buch projiziert. Die beeindruckende Installation wurde von den Besucher:innen neugierig bestaunt, die sich viel Zeit nahmen um das Leporello zu betrachten und mit verschiedenen Anordnungen der ziehharmonikaartigen Seiten zu experimentieren.

Die Gedenkveranstaltung mit Buchvorstellung von spuren & narben – zeit.zeugnisse wurde veranstaltet von der Landeszentrale für politische Bildung Bremen / Denkort Bunker Valentin, dem Verein „Erinnern für die Zukunft“ e.V., in Kooperation mit der Bremischen Bürgerschaft, dem Institut français Bremen, dem Honorarkonsulat der Französischen Republik und der Deutsch-Französischen Gesellschaft Bremen.

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