Vom 7. Mai bis zum 6. August 2023 erleben Besuchende des Denkort Bunker Valentin zwei besondere Klanginstallationen, die aufeinander Bezug nehmen und doch eigenständig in ihrer Wirkung sind: eine meterhohe Windharfeninstallation im Außenbereich zur Weserseite, deren Saiten alleine durch den Wind in Schwingung gebracht werden und eine kontinuierliche Klang-Projektion mittels verschiedener Lautsprecher im Ruinenteil des Bunkers. In beiden fungiert der Wind als zentrales Klang modulierendes Element.
Das Kunstprojekt „Erinnern durch Klang“ basiert auf den Untersuchungen der örtlich bedingten Luftströme und anderer klanglicher Phänomene, die am Bunker „Valentin“, auf dem Lagergelände im Umfeld des Bunkers und an den Orten der in historischer Korrespondenz stehenden ehemaligen Bunkeranlagen des „Atlantikwalls“ in der südlichen Bretagne wahrnehmbar sind. Die Installation des Kunst-Projektes nimmt ebenso Bezug auf ein Zitat des ehemaligen französischen KZ-Häftlings Lucien Hirth: „Da war ein Wind, da war es kalt. Da war es kalt.“
„Erinnern durch Klang“ wurde erdacht und konzipiert von Annemarie Strümpfler (freischaffende Künstlerin) und realisiert von Mattia Bonafini (Musiker/Komponist) und Jutta Kelm (Wind- und Klangkünstlerin).
Die Installation und das Begleitprogramm werden veranstaltet von der Landeszentrale für politische Bildung Bremen / Denkort Bunker Valentin und gefördert von der Arbeitnehmerkammer Bremen, Erinnern für die Zukunft e.V., der Karin und Uwe Hollweg Stiftung, dem Künstlerinnenverband Bremen, dem Musikfonds der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Senator für Kultur der Freien Hansestadt Bremen und der Sparkasse Bremen.
Begleitprogramm
Sonntag, 7. Mai, 14 Uhr
Eröffnung
Begrüßung, thematische Sonderführungen und Gesprächsrunde mit den Künstler:innen Annemarie Strümpfler, Mattia Bonafini und Jutta Kelm, moderiert von Dr. Frank Laukötter (Kunstwissenschaftler)
Samstag, 3. Juni, 18 Uhr
Lange Nacht der Bremer Museen mit Videobeitrag CONCRETE
in Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer Bremen
Der Denkort ist bis 24 Uhr geöffnet. Es werden Kurzvorträge zu Aspekten des Bunkerbaus und zum Themenschwerpunkt „Klang und Musik“ angeboten. Als besonderes Highlight wird als Dauerschleife der meditative 20-minütige Videofilm CONCRETE über den Gröpelinger U-Boot-Bunker „Hornisse“ von Marikke Heinz-Hoek, vertont von Emre Meydan, auf einer großen LED-Leinwand gezeigt
Sonntag, 11. Juni, 15 Uhr
Bunker Requiem - NO MORE WAR
in Kooperation mit der Hochschule für Künste Bremen
Fachübergreifendes Performanceprojekt von Studierenden der HFK Bremen
Leitung: Prof. Dr. Felix Elsner und Prof. Rafael Sbrzesny
Sonntag, 2. Juli, 15 Uhr
Gesprächsrunde „Klang als Erinnerung“
Diskussionsformat über die Chancen und Herausforderungen künstlerischer Interventionen an historischen Orten. Mit Dr. Christel Trouvé (Historikerin), Mattia Bonafini und Dr. Frank Laukötter, moderiert von Carla Frese (Kunstwissenschaftlerin).
Sonntag, 6. August, 14 Uhr
Finissage
Abschlussveranstaltung mit einer Filmvorführung von Annemarie Strümpfler
„Da war ein Wind…“
Bereits seit drei Jahrzehnten beschäftigt sich die freischaffende Künstlerin Annemarie Strümpfler mit dem Bunker „Valentin“. 2023 gipfelte ihre Arbeit in der Klanginstallation „Erinnern durch Klang“ – einem Kooperationsprojekt mit dem Komponisten Mattia Bonafini und der Wind- und Klangkünstlerin Jutta Kelm. Die Installation war vom 7. Mai bis zum 6. August 2023 am Denkort Bunker Valentin zu sehen und zu hören. Sie wurde von einem Begleitprogramm mit fünf Veranstaltungen begleitet.
Grundlage für „Erinnern durch Klang“ ist ein Zitat von Lucien Hirth (1923-2008), einem ehemaligen französischen KZ-Häftling und Zwangsarbeiter auf der Bunkerbaustelle. Annemarie Strümpfler lernte ihn in den 1990ern kennen, als sie Lehrerin an der Gerhard-Rohlfs-Oberschule war und die Schüler:innen ihrer Video-AG Lucien Hirth für ein Geschichtsprojekt interviewten. In dem Interview, aufgenommen während der Gedenkfeier der Amicale internationale KZ Neuengamme im Jahre 1995, berichtete er von der Zwangsarbeit, die er im tiefsten Winter auf dem Dach des Bunkers leisten musste: „Und da war ein Wind, da war es kalt. Da war es kalt. Das machte einen kaputt da oben.“
Lucien Hirth wies auf ein existenzielles Problem für die damaligen Zwangsarbeiter:innen hin. Neben den harten Arbeitsbedingungen und der Gewalt, dem Hunger und den Krankheiten waren sie den natürlichen Elementen komplett ausgeliefert. Sie trugen keine adäquate Kleidung, selbst im Winter wurde ihnen jeglicher Schutz verwehrt. Die Natur-Elemente waren eine weitere Qual, der die Zwangsarbeiter:innen ausgeliefert waren und die ihre Chance auf ein Überleben existenziell verminderte.
Um diese Bedeutung des Windes und der anderen Elemente für das Leid der Zwangsarbeiter:innen künstlerisch zu thematisieren, machte Annemarie Strümpfler den Wind zum Ausgangspunkt ihres Projekts. Sie untersuchte die örtlich bedingten Luftströme und andere klangliche Phänomene am Bunker „Valentin“, auf dem Lagergelände im Umfeld des Bunkers und an ehemaligen Bunkeranlagen des „Atlantikwalls“ in der südlichen Bretagne: Brest, Lorient, Saint Nazaire. Die Eindrücke und Ergebnisse dieser Untersuchungen verarbeitete Annemarie Strümpfler in Kooperation mit dem Musiker und elektroakustischen Komponisten Mattia Bonafini und mit der Klangkünstlerin Jutta Kelm.
Klang-Projektion und Windharfe
Die Klanginstallation setzte sich aus zwei Teilen zusammen, die zwar eigenständig in ihrer Wirkung waren, sich aber doch ergänzten und miteinander korrespondierten: eine Klang-Projektion mittels verschiedener Lautsprecher im Ruinenteil des Bunkers – realisiert von Mattia Bonafini – sowie eine Windharfe an der Außenwand des Bunkers – realisiert von Jutta Kelm.
Während des Zeitraums der Installation waren im Infozentrum am Denkort außerdem zwei Rollups aufgebaut, auf denen die Besucher:innen mehr über die historischen Hintergründe und über das künstlerische Konzept des Projekts erfahren konnten. Auf einem Bildschirm wurde das der Installation zugrundeliegende Interview mit Lucien Hirth aus dem Jahre 1995 gezeigt.
Für die Klang-Projektion im Bunkerinneren platzierte Mattia Bonafini vier Lautsprecher und zwei Kontaktschallwandler im Ruinenteil des Bunkers. In Endlosschleife spielte jede der sechs Soundquellen eine andere Tonspur ab. Zusammen ergaben die synchronisierten Spuren eine einstündige Komposition. Jeder Durchlauf der Komposition unterschied sich dennoch vom vorherigen, denn weitere Klänge wurden per Zufallsprinzip über einen programmierten Algorithmus in die Soundkollage eingespeist.
Das Stück bestand u.a. aus Field Recordings – dem Rauschen von Wind in Blättern, fließendem Wasser, dem Zwitschern von Vögeln, –, die Mattia Bonafini und Annemarie Strümpfler in Farge bzw. in der Bretagne aufgenommen hatten. Diese Aufnahmen wurden von Mattia Bonafini aufbereitet, teilweise bis zur Unkenntlichkeit digital transformiert und organisiert. Sogar das Schlagen eines Schraubenziehers auf Metall floss in das Stück ein. Während zu Beginn der einstündigen Komposition die Stille im Inneren des Bunkers von ruhigen, organischen Klanglandschaften komplementiert wurde, gewannen in ihrem Verlauf zunehmend dissonante, synthetische Klänge Überhand. Sie gipfelten in einem herausfordernden Crescendo aus metallischen Klängen, die zeitweise in extrem schnellen, repetitiven Rhythmen gespielt wurden. Viele Besucher:innen assoziierten diese Klanglandschaft mit der unvorstellbar lauten Geräuschkulisse, die auf der Bunkerbaustelle herrschte.
Der zweite Teil der Installation – die von Jutta Kelm gebaute Windharfe – erwartete die Besucher:innen an der Außenwand des Bunkers an der Weserseite. Die Windharfe war an der westlichen Ecke des Bunkers angebracht, wo sie dem Wind, der am Bunker „Valentin“ meistens aus Richtung Nordwest, also aus Richtung der Nordsee weht, voll ausgesetzt war. Die Saiten der Harfe wurden allein vom Wind zum Schwingen gebracht, wodurch sphärische Töne entstanden, die von einigen Besucher:innen als seufzend oder klagend beschrieben wurden. Je nach Windrichtung und -stärke erklangen die Töne mal sanft und leise, mal laut. Bei Windböen wirkte es so, als kämen die Töne plötzlich aus dem Nichts, schwelten an und verstummten schnell wieder. Bei konstantem Wind tauchte die Windharfe dagegen die gesamte Umgebung in ein surreales Brummen. Änderungen der Windstärke sorgten dafür, dass verschiedene Akkorde zu hören waren, manchmal sogar kleine Melodiefolgen. Somit unterschied sich jeder Besuch der Windharfe vom vorherigen, was manche Besucher:innen dazu veranlasste, das Instrument mehrmals aufzusuchen. In dem glänzenden silbernen Kasten aus Metall, der die alle auf den gleichen Ton gestimmten Saiten umgab, spiegelte sich die Umgebung: das Grün des Deiches, das Grau und Blau des Himmels und der Weser. Mit einer Höhe von ganzen drei Metern handelte es sich bei der Windharfe am Denkort Bunker Valentin um die größte der über 50 Windharfen, die Jutta Kelm seit 1997 angefertigt hat.
Begleitprogramm
Das Begleitprogramm der Klanginstallation wurde am 7. Mai mit einer Vernissage eingeläutet. Im Rahmen dieser Eröffnungsveranstaltung wurden nach einer Begrüßung durch Dr. Christel Trouvé (wissenschaftliche Co-Leitung: Denkort Bunker Valentin) kostenfreie, thematische Sonderführungen angeboten, in denen das der Installation zugrundeliegende Zitat von Lucien Hirth historisch kontextualisiert wurde. Danach fand eine Gesprächsrunde mit den Künstler:innen Annemarie Strümpfler, Mattia Bonafini und Jutta Kelm statt, moderiert von Dr. Frank Laukötter (Kunsthistoriker). Zum Schluss bekamen die mehr als 50 Besucher:innen die Gelegenheit, sich mit den drei Künstler:innen die Klanginstallation gemeinsam anzuhören und sich mit ihnen über das Projekt auszutauschen.
Das Begleitprogramm wurde fortgesetzt mit der Filmvorführung von „CONCRETE“ im Rahmen der Langen Nacht der Bremer Museen am 3. Juni (s.u.), dem Performanceprojekt „Bunker Requiem – NO MORE WAR“ von Studierenden der Hochschule für Künste Bremen am 11. Juni, dem Diskussionsformat „Klang als Erinnerung“ am 2. Juli und der Finissage der Installation mit Filmvorführung von „REFLECTIONS“ am 6. August (s.u.).
Die beiden Filmvorführungen im Begleitprogramm zu „Erinnern durch Klang“ sollten das Spektrum des Projekts um eine audio-visuelle Komponente erweitern:
„CONCRETE“ ist ein 20-minütiger Videokunstfilm der bildenden Künstlerin und Filmmacherin Marikke Heinz-Hoekk, vertont vom Multimediakünstler Emre Meydan, aus dem Jahr 2018. Der Film behandelt in ruhigen, meditativen Bildern den U-Boot-Bunker „Hornisse“ in Bremen-Gröpelingen. Während der diesjährigen Langen Nacht der Bremer Museen am 3. Juni wurde „CONCRETE“ in Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer Bremen auf einer 15 Quadratmeter großen LED-Leinwand in Dauerschleife gezeigt. An diesem besonderen Abend wurde der Denkort von 430 Besucher:innen besichtigt. Um die Filmprojektion und die Klanginstallation didaktisch zu ergänzen, wurden kostenfreie Kurzvorträge zu Aspekten des Bunkerbaus und zum Themenschwerpunkt „Klang und Musik“ angeboten.
Bei der Finissage der Klanginstallation am 6. August wurde der Film „REFLECTIONS“ vor 35 Zuschauer:innen uraufgeführt, mit dem Annemarie Strümpfler das Projekt Revue passieren ließ und den sie im Laufe des Projektzeitraums eigenständig produzierte. „REFLECTIONS“ zeigt ein Gespräch zwischen Annemarie Strümpfler und Mattia Bonafini, in dem sich die beiden über die Entstehungsgeschichte des Projekts und über das Verhältnis von Kunst und politischer Bildungsarbeit austauschen. Ihr Dialog ist verwoben mit Aufnahmen des Bunkers und Eindrücken aus der Entstehungsgeschichte der Installation.
Während die Installation von Mattia Bonafini im Anschluss an die Finissage abgebaut wurde, blieb die Windharfe noch bis zum Herbst an der Bunkerwand hängen. Danach soll die Windharfe an weiteren Orten erklingen, die in einer Korrespondenz zum Bunker „Valentin“ stehen.
Weiterhin ist ebenso der Begleitkatalog zur Installation im Infozentrum erhältlich. Darin finden sich nicht nur Hintergrundtexte und Fotos zur Installation, zum Konzept und der Entstehungsgeschichte, sondern auch ein QR-Code zum Streamen der Komposition von Mattia Bonafini.