Ein Außenlager des KZ-Neuengamme
Im Mai 1943 hatten die Bauarbeiten am Bunker „Valentin“ begonnen. Dabei waren zunächst vor allem Dienstverpflichtete und zivile Zwangsarbeiter:innen eingesetzt worden. Viele von ihnen hatten schon zuvor beim Bau des Marinetanklagers und des Wifo-Lagers arbeiten müssen. Insgesamt standen aber zu wenige Arbeitskräfte zur Verfügung. Kriegsmarine und Organisation Todt (OT) verhandelten deshalb mit der SS über den Einsatz von KZ-Häftlingen in Bremen-Farge. Das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS stimmte zu. In Farge entstand nun ein Außenlager des KZ Neuengamme.
Ein neues Außenkommando
Die ersten Häftlinge aus dem KZ Neuengamme bei Hamburg trafen im November 1943 in Farge ein. Das Kommando bestand vor allem aus polnischen und sowjetischen Häftlingen sowie einigen deutschen Funktionshäftlingen. Wo sie zu Beginn untergebracht waren, ist nicht bekannt. Das KZ-Außenlager musste erst noch gebaut werden. Bis zum Sommer 1944 stieg die Zahl der Häftlinge auf bis zu 2600. Nun waren es vor allem französische Häftlinge, die nach Farge kamen. Das Außenlager wurde im Laufe der Zeit zum zweitgrößten Außenlager des KZ Neuengamme. Die letzten Häftlinge kamen am 28. Februar 1945 in Farge an. 340 Gefangene waren aus dem KZ Sachsenhausen über das KZ Bergen Belsen nach Farge gebracht worden, um den Bunkerbau doch noch vollenden zu können.
Ein Betonbunker als Unterkunft
Die Häftlinge lebten mehrheitlich nicht in Baracken, wie in anderen Lagern. Stattdessen hausten sie in einem ungenutzten unterirdischen Treibstofftank des Marinetanklagers. Raymond Portefaix, ein ehemaliger Häftling, berichtet von seiner ersten Begegnung mit dem Tank: „Ich ging irgendwo in der Mitte. Näher am Ende. Und ich sah, dass da eine kleine Bude stand. Und wir sehen, dass die ganze Kolonne da reinging, aber nicht wieder rauskam. Da stellte sich heraus, dass das der Eingang zu einem Bunker war, der nach unten ging. Und die ganze Kolonne ging da rein und wir fragten uns, was wohl geschehen würde, aber am Ende zeigte sich, dass unten der Bunker war, in dem wir leben sollten.“
Das Lager wächst
Um den Tank herum entstanden im Sommer 1944 weitere Baracken. Einige waren aus Holz, andere aus Stein. Neben einer Küchenbaracke gab es eine Sanitätsbaracke, eine Wäscherei, Vorratsräume, die Kommandantur und eine kleine Baracke für die Toten. Die französischen Häftlinge nannten sie „braque du mort“.
Die Wachmannschaften waren außerhalb der Umzäunung untergebracht. Zum Lager gehörte ein eigener Bahnhof. Dort kamen die Transporte aus Neuengamme an. Es gab auch eine Bahnverbindung zur Bunkerbaustelle. In offenen Loren wurden die Häftlinge zur Arbeit transportiert.
Auftragsfotos
Die Arbeiten am Bau der Lagerbarracken wurden vom Blumenthaler Fotografen Johann Seubert im Auftrag der Kriegsmarine fotografiert. Sie zeigen ein geschöntes Bild der Verhältnisse. Das Lager wirkt aufgeräumt, die Baracken sauber, das Krankenrevier gut ausgestattet. Die realen Bedingungen waren völlig anders. Über 700 Häftlinge starben im KZ Farge an Hunger, Entkräftung oder durch die Gewalt der Wachen. Die meisten wurden auf einem Gräberfeld in der Nähe verscharrt.
Ehemalige Wehrmachtsoffiziere und altgediente Lager-SS
Das KZ Farge wurde anfangs von SS-Männern kommandiert. Wie in den meisten anderen Lagern wurden immer mehr Wehrmachtsangehörige in die SS überführt und in den KZ eingesetzt. Sie waren allerdings kaum weniger brutal als die altgedienten SS-Wachmannschaften. Der letzte Kommandant war Ulrich Wahl. Der frontuntaugliche ehemalige Wehrmachtsoffizier übernahm den Befehl über das Außenlager im Rang eines SS-Hauptsturmführers.
Johann Reese
Der Neuengammer Lagerkommandant Max Pauly war gegenüber ehemaligen Wehrmachtsoffizieren als Kommandanten in den Lagern misstrauisch. Deshalb machte mit Johann Reese, ein altgedientes Mitglied der Neuengammer Lager-SS, zu Wahls Stellvertreter. Reese war vor seiner Zeit in Farge bereits Blockleiter in Neuengamme gewesen. Er hatte auch im Außenlager Alt Garge Dienst getan. Reese galt als extrem brutal.
Todesmärsche
Anfang April 1945 begann die Räumung der KZ-Außenlager in Nordwestdeutschland. Das Außenlager Farge wurde für bis zu 5000 Häftlingen aus Bremen, Meppen und Wilhelmshaven zur Durchgangsstation der sogenannten Todesmärsche. Die nicht marschfähigen Gefangenen verließen Farge mit Zügen, die schließlich im Kriegsgefangenenlager Sandbostel endeten. Die Überlebenden der Transporte wurden dort am 29. April 1945 von britischen Truppen befreit. Jüdische Häftlinge wurden ebenfalls per Zug nach Bergen Belsen gebracht.
Vor aller Augen
Häftlinge, die noch laufen konnten, wurden zu Fuß nach Neuengamme getrieben. Sie marschierten in großen Kolonnen auf den Straßen durch die Dörfer entlang des Weges. Viele brachen erschöpft zusammen und wurden von den Wachmannschaften erschossen. Die Übrigen erreichten das Stammlager Neuengamme. Wenige Tage später wurden sie auf die KZ-Schiffe „Cap Arcona“, „Thielbeck“ und „Athen“ gebracht, die in der Lübecker Bucht vor Anker lagen.
Tragödie in der Lübecker Bucht
Am Morgen des 5. Mai griff die britische Luftwaffe die Schiffe an. Das Bomberkommando hielt die bewaffneten und nicht gekennzeichneten Schiffe für Truppentransporter. Die „Cap Arcona“ und die „Thielbeck“ sanken. Über 6400 Häftlinge starben. Auch zahlreiche Wachleute ertranken, darunter der letzte Kommandant des KZ Farge, Ulrich Wahl. Zu den Überlebenden gehörten die Farger Häftlinge André Migdal und Marian Hawling sowie der spätere DDR-Schauspieler Erwin Geschonneck.