AEL Farge

Das „Arbeitserziehungslager“ der Bremer Gestapo

Holzbarracke im Lager „Tesch“, 1940 Foto: Stickelmann, Quelle: Staatsarchiv Bremen

Ende Juli 1941 beschwerte sich ein Vertreter des Bremer Arbeitsamtes über die angebliche „Widerspenstigkeit“ ausländischer Arbeitskräfte. Er forderte vom Senat Unterstützung bei deren Disziplinierung. Sein Vorschlag: Die Bremer Polizei solle die infrage kommenden Arbeiterinnen und Arbeiter in ein Arbeitslager sperren. Der Senator für Inneres erhielt den Auftrag, die Angelegenheit weiter zu bearbeiten. Die Nachfrage bei der Gestapo ergab, dass es ein solches Lager längst gab. In einem Vermerk hieß es, ein Lager in Farge diene bereits als „Erziehungs-Arbeits-Lager“ für Ausländer. Es existierte seit Mai 1940, bewacht von der Bremer Schutzpolizei.

Das Lager als Vorbild für das Reich

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Anordnung des Senators für Arbeit und Technik, 18. August 1941 Quelle: Staatsarchiv Bremen

Transkript:

Der Senator für Arbeit und Technik
III/2899

Bremen, den 18. August 1941
[Handschrift, unleserlich]

An die Staatspolizeistelle Bremen

Vorstehende Abschrift des Berichtes des Arbeitsamtes Bremen auf den Stimmungsbericht des Herrn Polizeipräsidenten übersende ich mit der Bitte um Kenntnisnahme.
Wie mir bekannt ist, soll für den hiesigen Bereich als Zwangsarbeitslager für Ausländer das Arbeitslager in Farge vorgesehen sein. Aus arbeitstechnischen und disziplinären Gründen bitte ich, von der Möglichkeit der Einweisung in Zwangsarbeitsläger bei arbeitsscheuen Ausländern, die bei den hoheitlichen und kriegsentscheidenden Arbeiten eingesetzt sind, Gebrauch zu machen.

Im Auftrag: [Unterschrift]

Dabei handelte es sich um einige umzäunte Baracken im Firmenlager der Baufirma Gottlieb Tesch, die seit 1938 das Wifo-Tanklager Farge baute. Tesch selbst gab den Anstoß für die Einrichtung dieser beiden Haftbaracken. Von Anfang an wurden allerdings auch Arbeiter anderer Baustellen in der Region dort festgehalten. Der Innensenator ordnete nun an, alle als „arbeitsscheu“ geltenden Ausländer in das Zwangsarbeiterlager in Farge einzuweisen. So entstand in Bremen eines der ersten „Arbeitserziehungslager“ im deutschen Reich. Wahrscheinlich war es eines der Vorbilder für die Einrichtung solcher Lager im ganzen Reichsgebiet. Heinrich Himmler, Chef der Deutschen Polizei, veröffentlichte den Erlass dazu im Mai 1941 – ein Jahr nach der Einrichtung des Lagers in Farge.

Willkür und Gewalt

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Fernschreiben zum Einsatz von Mitarbeitern der Bremer Gestapo im AEL Farge Quelle: Staatsarchiv Bremen

Transkript:

Fernschreiben an den BdO. Hamburg.

Betr.: Bewachungskräfte der Ordnungspolizei für Konzentrations- und Zwangsarbeitslager der Sicherheitspolizei.
Bezug: BdO. - IA 5100 Nr. 484/42 - vom 20.6.1942.

Vom Einzeldienst der Schutzpolizei Bremen sind 7 Wachtmeister (S) seit dem 6.5.1940 im Arbeitserziehungslager der Gestapo, Staatspolizeistelle Bremen, in Bremen-Farge eingesetzt.

Kommando der Schutzpolizei.

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Kommando der Schutzpolizei
! - 1 a - !

Bremen, den 29. Juni 1942.

Herrn Senator für die innere Verwaltung mit der Bitte um Kenntnisnahme. Die Meldung wurde dem Bd0. mit Fernschreiben übersandt.

[Unterschriften, Stempel]

Die Gründe für die Einweisung in ein Arbeitserziehungslager waren willkürlich: Verspätungen, angeblich zu langsames Arbeiten, angebliche Sabotage, verspätete oder keine Rückkehr aus dem Heimaturlaub konnten bestraft werden. Die Entscheidung darüber fällten die sogenannten Abwehrbeauftragten der Firmen. Sie stellten Namenslisten der angeblichen „Bummelanten“ und „Drückeberger“ zusammen und übergaben sie der Gestapo. Sie verhaftete dann die Arbeiterinnen und Arbeiter und brachten sie nach Farge. Widerspruch war unmöglich. Die Gestapo wurde so zum verlängerten Arm der Bremer Rüstungsbetriebe.

Bestrafung und Abschreckung

Klaas Touber Quelle: privat / Denkort Bunker Valentin

Die Haftdauer im „Arbeitserziehungslager“ war begrenzt: Für maximal 56 Tage sollten die Arbeiter im Lager bleiben. Während der Haft war Schwerstarbeit bei minimaler Ernährung und einfachster Unterbringung vorgesehen. Die Häftlinge sollten persönlich bestraft werden. Die körperlichen und geistigen Folgen der Haft sollten aber auch für andere sichtbar sein. Denn nach der Haft wurden die Gefangenen in ihre Betriebe zurückgeschickt, um dort als abschreckendes Beispiel zu dienen. 176 Männer und 23 Frauen starben während der Existenz des Lagers.

Mehrere Standorte

Das ehemalige Arbeitserziehungslager im Jahr 1965 Quelle: Heimatverein Farge-Rekum

Das Lager wurde zweimal verlegt und dabei jedes Mal vergrößert. Im Herbst 1941 zog es in vier umzäunte Steinbaracken innerhalb des Marinegemeinschaftslagers Neuenkirchen. Bis zur erneuten Verlegung im Sommer 1943 waren hier zwischen 150 und 300 Häftlinge untergebracht. Schließlich entstand ein eigenständiges Lager in der Rekumer Feldmark mit insgesamt fünf Baracken und offiziell Platz für bis zu 500 Häftlinge. Zwischenzeitlich waren bis zu 600 Gefangene im Lager. Die Gesamtzahl der Häftlinge, die zwischen 1940 und 1945 in das AEL Farge eingewiesen wurden, ist nicht bekannt.

Heinrich Schauwacker, Kommandant und Kriegsverbrecher

Aufnahme von Heinrich Schauwacker aus der Ermittlungsakte des Britischen Militärgerichts Quelle: National Archives Kew

Einer der ersten Kommandanten war Karl Walhorn. Walhorn schuf ein System aus Gewalt und Schrecken, für das das Lager berüchtigt war und schon bald den Beinamen „Männervernichtungslager“ erhielt. „Farge“ wurde zum geflügelten Wort in Bremen. Zu den brutalsten Kommandanten aber gehörten Sebastian Schipper und Heinrich Schauwacker. Schauwacker war persönlich für die Ermordung von 11 Häftlingen verantwortlich. Wegen seiner Brutalität wurde er vom Lagerarzt bei der Gestapo angezeigt und daraufhin inhaftiert.

Neue Häftlingsgruppen: Das Jahr 1944

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Ausweis für ehemalige KZ-Häftlinge von Wilhelm Nolting-Hauff Quelle: Staatsarchiv Bremen

Transkript:

Der Ausweis ist nicht übertragbar!

[Foto: Wilhelm Nolting-Hauff]

[Unterschrift]

Ausweis Nr. 220

Der Inhaber dieses Ausweises Herr Dr.jur. Wilh. Nolting-Hauff geb. am 22.4.1902 in Naumburg a.d.Saale wohnhaft: Bremen, Bismarckstr. 74 ist aus rassischen Gründen vom 30.10.44 bis 24.11.44. in Konzentrationslager durch den Nationalsozialismus inhaftiert gewesen.

Er wird bei der Hilfsstelle für K.L.-Entlassene als ehemaliger rassischer Häftling geführt. Es wird um bevorzugte Abfertigung seitens der Behörden, des Handels und der Wirtschaft gebeten.

The bearer of this certificate has been imprisoned by the National-Socialism.

He is registered at the "Office for dismissed K.L. inmates" as former prisoner for race. We beg you to give favoured attendance to the above person at authorities, official agencies, trade and economic offices.

Bremen, den 11. August 1945

[Stempel:]
Hansestadt
[Bremer Schlüssel]
Bremen

Hilfsstelle für K.L.-Entlassene
Office for dismissed K.L. inmates.
[Unterschrift]

Weitere Gruppen von Gefangenen wurden im Laufe der Zeit im AEL Farge inhaftiert: irische Handelsmatrosen, spanische Seeleute. Nach dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wurden auch ehemalige Sozialdemokraten und Kommunisten in Farge inhaftiert. Im Oktober 1944 schließlich brachte die Gestapo sogenannte Halbjuden aus Bremen nach Farge. Sie blieben nur kurz und wurden auf andere Lager in der Nähe von Göttingen verteilt. Die „Halbjuden“ galten als die letzte Arbeitskraftreserve der „Organisation Todt“. Zu ihnen gehörte der spätere Finanzsenator Wilhelm Nolting-Hauff. Seine Erlebnisse veröffentlichte er nach dem Krieg in einem Buch.

Juristische Aufarbeitung

Britische Wache vor dem Hamburger Curio-Haus, Frühjahr 1946 Foto: A. Klein/S. Presser, Quelle: Hans Nesna: Zoo leeft Duitschland up de Puinhoopen van het Derde Rijk, Amsterdam 1946, o.S.

Im Jahr 1946 begann im Hamburger Curio-Haus ein Prozess gegen die Wachmannschaften des Arbeitserziehungslagers. Einige der inhaftierten irischen Seeleute galten als britische Staatsbürger. Deshalb übernahm die britische Militärregierung die Verfolgung der Verantwortlichen. Die Höchststrafe lag bei sieben Jahre Haft. Kommandant Walhorn wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, aber vorzeitig entlassen. Der Prozess blieb das einzige Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Bau des Bunkers „Valentin“.

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