„A hand full survived.“
In den letzten Monaten des Kriegs löste die SS auf Befehl Heinrich Himmlers nach und nach die Konzentrations- und Vernichtungslager auf. Die Häftlinge wurden in zwei Gruppen unterteilt: marschfähig und nicht mehr marschfähig. Die nicht mehr marschfähigen Häftlinge wurden entweder in den Lagern zurückgelassen oder in Zügen in Auffanglager gebracht. Die übrigen Häftlinge wurden auf langen Fußmärschen durch die besetzten Gebiete und schließlich auf dem Reichsgebiet in andere Lager getrieben. Das KZ-Außenlager Farge wurde so in den ersten Aprilwochen 1944 zum Durchgangslager für Häftlinge aus dem nordwestdeutschen Raum. Die Karte von Pierre Billaux zeigt, auf welcher Route sie in das Stammlager Neuengamme getrieben wurden.
Überleben bis zum Schluss
Pierre Billaux war ein französischer Häftling, der wegen seiner Aktivitäten in einer Widerstandsgruppe verhaftet und in das KZ Neuengamme deportiert worden war. Nach kurzer Zeit teilte die Lagerleitung ihn dem Außenkommando Bremen-Blumenthal zu. Am 9. April wurde Billaux mit etwa 1500 weiteren Häftlingen des Außenlagers Blumenthal und weiterer Bremer Lager auf einen Marsch in Richtung Norden geschickt. Die erste Station war das Außenlager Farge. Von dort ging es über Landstraßen nach Schwanewede, Uhtlede, Bramstedt und Stubben schließlich nach Neuengamme.
Die Räumung des KZ Farge
Das KZ-Außenlager Farge war Anfang April noch mit etwa 2000 Häftlingen belegt, die auf der Baustelle des Bunkers gearbeitet hatten. Hinzu kamen nun weitere Häftlinge aus Meppen und Wilhelmshaven. Es ist unklar, wie viele marschfähige Kolonnen und Transporte mit nicht mehr marschfähigen Häftlingen Farge schließlich verließen, aber es waren über 5000 Menschen, die nun entlang der Landstraßen und Bahnstrecken der Region unter den Augen der Bevölkerung transportiert wurden. Die Bedingungen für die Häftlinge waren brutal, die Ernährung absolut unzureichend. Viele starben oder wurden unterwegs erschossen. Oft blieben die Leichen einfach am Wegesrand liegen.
Spiros Pasaloglou erinnert sich
„Ein paar Tage später gibt man uns bekannt, dass wir unsere Sachen packen sollen. Noch vor dem Morgengrauen versammeln wir uns zum Appell. Etwa tausend Häftlinge formieren sich in einer Kolonne und brechen zu Fuß auf. Wir marschieren den ganzen Tag lang, ohne Verpflegung. Überall ringsum sind die Felder verdorrt. Es gibt kein einziges Stück Obst oder Gemüse, das uns über unseren Hunger hinweghelfen könnte. […] Wir marschieren den ganzen Tag in Reih und Glied. Die SS-Schergen treiben uns an. Die Schwächsten, die mit dem Tempo nicht mehr mithalten können, stoßen sie mit dem Gewehrkolben in den Rücken, bis sie zu Boden stürzen. Wir helfen ihnen beim Aufstehen. Wer liegen bleibt, bekommt den Todesstoß.“
Bis zum Schluss
Spiros Pasaloglou und die übrigen Häftlinge werden während des Marsches vor allem von Marine- und Wehrmachtssoldaten bewacht, auch eine Abteilung der Organisation Todt war dabei. Den Befehl über die Kolonnen führen einige wenige SS-Männer. Johann Reese, stellvertretender Lagerkommandant, gehört zu den letzten, die Farge per LKW verlassen. Wichtige Unterlagen aus der Lagerkommandantur nimmt er mit. Auch Ulrich Wahl, der letzte Kommandant des KZ-Außenlagers Farge, begleitet eine Kolonne. Sie erreicht Mitte April das Stammlager in Neuengamme. Nach kurzem Aufenthalt führt Wahl einen Häftlingstransport in die Neustädter Bucht.
Tragödie in der Neustädter Bucht
Ulrich Wahl brachte die von ihm kommandierte Kolonne auf die „Cap Arcona“. Der ehemalige Luxusliner lag zu diesem Zeitpunkt mit der „Thielbeck“ und der „Athen“ in der Bucht von Neustadt. Auf den drei Schiffen befanden sich über 9000 KZ-Häftlinge. Britische Flieger hielten die nicht gekennzeichneten und bewaffneten Schiffe versehentlich für Truppentransporter und versenkten die „Thielbeck“ und die „Cap Arcona“. Nur etwa 400 Menschen überlebten den Angriff, unter ihnen die Farger Häftlinge Marian Hawling, André Migdal und Spiros Pasaloglou. Ulrich Wahl starb auf der „Thielbeck“.
Tod und Befreiung in Sandbostel
Die nicht mehr marschfähigen Häftlinge wurden mit Zügen transportiert. Das ursprüngliche Ziel der Transporte aus Farge war das KZ Bergen Belsen. Das Lager wurde allerdings am 15. April von britischen Truppen befreit. Mindestens ein Transport mit etwa 3500 Häftlingen aus Farge wurde deshalb umgeleitet und kam nach einer Irrfahrt durch Norddeutschland am 18. April in Brillit in der Nähe von Bremervörde zum Stehen. Die Gefangenen wurden nun ins nahegelegene Kriegsgefangenlager XB Sandbostel gebracht, das mittlerweile in Teilen als KZ-Außenlager von Neuengamme geführt wurde. Das Lager war überfüllt, es gab kaum noch Nahrung.
Medizinische Hilfe im ehemaligen Lager
Am 29. April, dem Tag der Befreiung des Lagers Sandbostel, lebten noch etwa 7000 von ursprünglich 9000 KZ-Häftlingen und 14 000 Kriegsgefangene im Lager. Die meisten von ihnen waren extrem unterernährt und litten unter dadurch verursachten Krankheiten. Die britische Armee richtete zwei provisorische Hospitäler ein, eines in Rotenburg an der Wümme und eines in Neuenkirchen, im ehemaligen Marinegemeinschaftslager in der Nähe der Bunkerbaustelle.