Bei einem Gedenkstättenbesuch spielen Emotionen in irgendeiner Form immer eine Rolle, dessen sollten Sie sich als Lehrkraft oder als Multiplikator:in bewusst sein. Somit müssen auch wir uns in der täglichen pädagogischen Arbeit stetig mit Emotionalität an Gedenkstätten auseinandersetzten. Dabei stellen Pädagog:innen an Gedenkstätten immer wieder fest, dass unser Umgang mit Emotionen oft nicht den Erwartungen von Besucher:innen und Lehrer:innen entspricht.
Matthias Heyl, pädagogische Leitung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, hat es einmal so formuliert:
Was resultiert daraus für unsere Arbeit?
1. Wir erkennen die Emotionen von Schüler:innen und Besucher:innen an, dabei existieren für uns keine „erwünschten emotionalen Reaktionen“. Wir arbeiten mit dem, was kommt! Dabei begegnet uns, während unserer Arbeit, eine breite Palette an Emotionen. Auch vermeintliche Gleichgültigkeit und / oder augenscheinliche Empathielosigkeit können Ausdruck von emotionaler Überforderung sein. Solche Reaktionen können im Angesicht der NS-Verbrechen durchaus normale Selbstschutzmechanismen sein.
2. „Betroffenheitspädagogik“ lehnen wir ab. Betroffenheit und Empathie mit den Verfolgten des Nationalsozialismus ist ein durchaus ehrbares und verständliches Ziel vieler Menschen, doch Betroffenheit und Empathie können aus unserer Sichtweise keine sinnvollen Lernziele sein. Empathiebildung als Lernziel kann in seiner Komplexität, innerhalb einer kleinen Exkursion, immer nur verfehlt werden. Wir bevorzugen zwar eine empathische Annäherung an die historischen Themen, jedoch erscheint uns die Annäherung durch Empathie als ein hochanspruchsvolles Unterfangen. Dabei ist uns bewusst: Empathie entsteht nie in einem luftleeren Raum. Damit Empathie gedeihen kann, ist die Übung in Empathie und die Erfahrung von Empathie notwendig. Dies alles kann ein Gedenkstättenbesuch nie in Gänze liefern, sondern kann, wenn überhaupt, nur als kleiner Baustein in der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen betrachtet werden. Ganz gewiss ist jedoch, dass die gezielte Emotionalisierung und der damit verbundene Wunsch bei den Schüler:innen Betroffenheit auszulösen, dem langwierigem Prozess der Empathiebildung sogar entgegenwirkt. Bei solch einem pädagogischen Ansatz wird schließlich eine Überwältigung der Schüler:innen in Kauf genommen. Das Resultat dessen ist eine nachvollziehbare Abwehrhaltung gegenüber allem, was mit der Geschichte des Nationalsozialismus verbunden ist. Damit verschließen sich letztlich Möglichkeiten mit jungen Menschen, anhand des NS, über Ausgrenzungsmechanismen, Ideologien der Minderwertigkeit und die Geschichten der Verfolgten zu sprechen. Anstatt von den Schüler:innen Empathie zu erwarten, müssen wir empathisch mit den Schüler:innen umgehen.
3. Wir sind keine Erlebnispädagog:innen des Grauens! Unser Ziel und unsere Aufgabe ist es nicht, die Leiden der NS-Verfolgten „nachfühlbar“ oder „erlebbar“ zu machen.