Emotionen

Empathie? Betroffenheit? Über unseren Umgang mit emotionalen Reaktionen von Seminarteilnehmer:innen

Bei einem Gedenkstättenbesuch spielen Emotionen in irgendeiner Form immer eine Rolle, dessen sollten Sie sich als Lehrkraft oder als Multiplikator:in bewusst sein. Somit müssen auch wir uns in der täglichen pädagogischen Arbeit stetig mit Emotionalität an Gedenkstätten auseinandersetzten. Dabei stellen Pädagog:innen an Gedenkstätten immer wieder fest, dass unser Umgang mit Emotionen oft nicht den Erwartungen von Besucher:innen und Lehrer:innen entspricht.

Matthias Heyl, pädagogische Leitung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, hat es einmal so formuliert:

„Die Fahrt an den historischen Ort des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen soll das im schulischen Unterricht theoretisch erfahrene konkretisieren, soll eine affektive Ebene ansprechen, die Relevanz des Themas fühlbar machen. Zuweilen geht diese Erwartung an die Schüler:innen einher mit einer Rahmung, die […] als „Betroffenheitspädagogik“ gescholten wird. Dann erscheint der Gedenkstättenbesuch gleichsam als erlebnispädagogische Ergänzung zum schulischen Unterricht über den Nationalsozialismus, in der die Gedenkstättenpädagog:innen als Schausteller:innen des Grauens vor Ort die aufrüttelnde Konkretion zum Schulstoff liefern mögen. Oft wird dies mit der starken, oft unausgesprochenen Erwartung verbunden, die Jugendlichen sollten beim Gedenkstättenbesuch in emotionalen Lernprozessen Empathie mit den Opfern des Nationalsozialismus entwickeln. Wir wissen aber, dass Drastik und Überwältigung ebenso dazu geeignet sind, Zugänge eher zu verschließen, wie wir um das Widerstandspotential Jugendlicher wissen, die sich – zurecht – dagegen wehren, wenn sie zum Objekt einer Choreografie der Emotionen von außen gemacht werden. Gerade die hohe soziale Erwünschtheit gewisser emotionaler Reaktionen blockiert die emotionale Auseinandersetzung zuweilen. “

Zwei Seminarteilnehmerinnen schauen nachdenklich.
Teilnehmer:innen eines Seminars am Denkort Bunker Valentin © Denkort Bunker Valentin / LzpB, Foto: Henry Fried

Was resultiert daraus für unsere Arbeit?

1. Wir erkennen die Emotionen von Schüler:innen und Besucher:innen an, dabei existieren für uns keine „erwünschten emotionalen Reaktionen“. Wir arbeiten mit dem, was kommt! Dabei begegnet uns, während unserer Arbeit, eine breite Palette an Emotionen. Auch vermeintliche Gleichgültigkeit und / oder augenscheinliche Empathielosigkeit können Ausdruck von emotionaler Überforderung sein. Solche Reaktionen können im Angesicht der NS-Verbrechen durchaus normale Selbstschutzmechanismen sein.

2. „Betroffenheitspädagogik“ lehnen wir ab. Betroffenheit und Empathie mit den Verfolgten des Nationalsozialismus ist ein durchaus ehrbares und verständliches Ziel vieler Menschen, doch Betroffenheit und Empathie können aus unserer Sichtweise keine sinnvollen Lernziele sein. Empathiebildung als Lernziel kann in seiner Komplexität, innerhalb einer kleinen Exkursion, immer nur verfehlt werden. Wir bevorzugen zwar eine empathische Annäherung an die historischen Themen, jedoch erscheint uns die Annäherung durch Empathie als ein hochanspruchsvolles Unterfangen. Dabei ist uns bewusst: Empathie entsteht nie in einem luftleeren Raum. Damit Empathie gedeihen kann, ist die Übung in Empathie und die Erfahrung von Empathie notwendig. Dies alles kann ein Gedenkstättenbesuch nie in Gänze liefern, sondern kann, wenn überhaupt, nur als kleiner Baustein in der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen betrachtet werden. Ganz gewiss ist jedoch, dass die gezielte Emotionalisierung und der damit verbundene Wunsch bei den Schüler:innen Betroffenheit auszulösen, dem langwierigem Prozess der Empathiebildung sogar entgegenwirkt. Bei solch einem pädagogischen Ansatz wird schließlich eine Überwältigung der Schüler:innen in Kauf genommen. Das Resultat dessen ist eine nachvollziehbare Abwehrhaltung gegenüber allem, was mit der Geschichte des Nationalsozialismus verbunden ist. Damit verschließen sich letztlich Möglichkeiten mit jungen Menschen, anhand des NS, über Ausgrenzungsmechanismen, Ideologien der Minderwertigkeit und die Geschichten der Verfolgten zu sprechen. Anstatt von den Schüler:innen Empathie zu erwarten, müssen wir empathisch mit den Schüler:innen umgehen.

3. Wir sind keine Erlebnispädagog:innen des Grauens! Unser Ziel und unsere Aufgabe ist es nicht, die Leiden der NS-Verfolgten „nachfühlbar“ oder „erlebbar“ zu machen.

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