Am 20. Mai lud der Denkort Bunker Valentin in Kooperation mit der Landeskirche Hannover zum Wandelkonzert ZEIT. Dimensionen im Rahmen der WESERFESTSPIELE 2022 ein. In dem Konzert für Chor, Blechbläser:innen und Percussion füllten die hauptberuflichen Kirchenmusiker:innen der Landeskirche Hannover die rohe Betonhülle des U-Boot-Bunkers „Valentin“ mit Resonanzen von Erinnerung und Hoffnung.
Die WESERFESTSPIELE fanden vom 14. Mai bis 6. Juni in Niedersachsen und Bremen statt. An zahlreichen Orten an der Weser konnten die Teilnehmer:innen die Vielfalt der Kirchenmusik neu erleben: vom Weserbergland bis zur Nordsee, von Konzerten und Musikgottesdiensten zu musikalischen Radtouren und Klanginstallationen. Bei ZEIT. Dimensionen am Denkort Bunker Valentin handelte es sich um eine der größten Veranstaltungen des Festivals.
Am Abend des 20. Mai fanden sich über 300 Besucher:innen und über 100 Musiker:innen im Depotteil des Bunkers „Valentin“ ein. Eine klassische Bühne gab es bei dem Wandelkonzert nicht. Stattdessen befanden sich alle Teilnehmenden stets in Bewegung. Die Zuhörer:innen streiften eigenständig durch das Innere des Bunkers, während die Mitglieder des Chors und die Blechbläser:innen an verschiedenen Stellen musizierten und teilweise auch mit dem Publikum verschmolzen.
Der Chor und die Blechbläser:innen trugen wandelnd Psalmlieder aus unterschiedlichen Jahrhunderten vor, wie etwa „Miserere mei, Deus“ von Josquin Desprez oder „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ von Johann Sebastian Bach. Gemein war diesen Liedern der Ruf nach der Vergebung Gottes. Auf Russisch sangen die Musiker:innen Alfred Schnittkes „Konzert für Chor“, das in der Tradition der russisch-orthodoxen Kirche steht. Im späteren Verlauf kam in einem besonderen Moment das Stück „De profundis“ des berühmten Düsseldorfer Komponisten Thomas Blomenkamp, das eigens für die Veranstaltung komponiert wurde, zu seiner Uraufführung.
Einen emotionalen Höhepunkt erreichte das Konzert, als mit „Liberté“ von Francis Poulenc eine Hymne auf die Freiheit und auf den Sieg über die Tyrannei durch das Innere des Bunkers schallte. Das Lied, das Poulenc 1943 im besetzten Frankreich komponierte, wurde von den Nationalsozialisten verboten. Erst nach Ende des Krieges konnte es öffentlich aufgeführt werden. Die Besucher:innen zeigten sich ergriffen angesichts der Hoffnung auf einen Neubeginn und auf wiederkehrende, bessere Zeiten, die die Hymne verströmte.
Der Auftritt der Perkussionistin Vanessa Porter wurde spektakulär eingeläutet: Die Musikerin wurde auf dem Anhänger eines Traktors in den Depotteil des Bunkers gefahren. Im Schneidersitz saß sie auf einer mobilen Bühne, die auf dem Anhänger aufgebaut war, und bespielte die persische Trommel Zarb. Bei dem Stück „Le Corps à Corps“ von George Aperghis ließ sie die Zarb im Wechselspiel mit ihrer Stimme erklingen, mit der sie lautmalerisch schrille, staccato-artige Töne ausstieß. Zum Klimax des Stückes schrie sie die abgehackten Laute förmlich heraus und brachte so den aufgeregten, verzweifelten, rastlosen Charakter der außergewöhnlichen Komposition voll zur Geltung.
Später spielte Vanessa Porter außerdem den „Anvil Chorus“ von David Lang auf mehreren Blechstangen und -tonnen. Die archaischen, metallischen Klänge ließen Assoziationen zur Ausbeutung der Zwangsarbeiter:innen auf der Baustelle des Bunkers unvermeidbar aufkommen.
Das ungewöhnlichste an ZEIT. Dimensionen beteiligte Instrument waren zweifellos die hundert(!) Metronome, die über den gesanten Innenbereich des Bunkers verteilt waren. In der Komposition „Poéme symphonique“ von György Ligeti kamen Sie alle gleichzeitig zum Einsatz, bis sie nach und nach verstummten und für einen beeindruckenden Kontrast zwischen Lärm und Stille sorgten.
„Immortal Bach“ von Knut Nystedt, das letzte Stück des Konzerts, basierte auf den ersten drei Zeilen von Bachs „Komm, süßer Tod“. Dazu wurde der Chor in mehrere Gruppen aufgeteilt, die die acht Takte in jeweils unterschiedlichen Tempi vortrugen. Die Töne verschmolzen miteinander und ließen ein sakrales, die Ewigkeit evozierendes Dröhnen entstehen, das das Konzert zu einem würdigen Ende brachte. „Berührend“, „bewegend“, „eindrucksvoll“ waren nur einige der Begriffe, mit denen die Besucher:innen das soeben Erlebte beschrieben.
In den Stunden vor Konzertbeginn bekamen die Besucher:innen die Möglichkeit, an einstündigen Sonderführungen durch den Denkort Bunker Valentin teilzunehmen. Unsere Guides stellten den Teilnehmenden, die größtenteils von weither angereist waren und bisher noch keine Berührungspunkte mit der Geschichte des Bunkers hatten, die Geschichte des Ortes überblicksartig vor und brachten ihnen die Schicksale ausgewählter Zwangsarbeiter näher. An dem besonderen Format nahmen 80 Konzertbesucher:innen teil – alle Sonderführungen waren ausgebucht.
ZEIT. Dimensionen wurde veranstaltet von der Landeszentrale für politische Bildung Bremen/ Denkort Bunker Valentin, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover und dem Verein „Erinnern für die Zukunft“ e.V.