14.11.2021

„Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“

Literarisches Kammerkonzert

Am 14. November 2021 waren der Schauspieler Roman Knižka und das Bläserquintett OPUS 45 für das literarische Kammerkonzert „Ich hatte einst ein schönes Vaterland …“ am Denkort Bunker Valentin zu Gast. Mit diesem Konzert war das Ensemble im Rahmen des Festjahres #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland auf bundesweiter Tournee.

In „Ich hatte einst ein schönes Vaterland …“ trug der aus TV-, Theater- und Kinoproduktionen bekannte Schauspieler Roman Knižka die Texte von jüdischen Autor:innen deutscher Sprache vor. Sie veranschaulichten die faszinierende Vielfalt jüdischen Lebens auf deutschem Boden, berichteten von der Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung deutscher Juden unter dem NS-Regime und gewährten Einblicke, wie sich jüdisches Leben in Deutschland heute, 75 Jahre nach dem Holocaust, gestaltet.

All diese Texte erweckte Roman Knižka mit viel Ausdrucksstärke, Bühnenpräsenz und schauspielerischem Können zum Leben. Jeder Rolle, jedem Charakter verlieh er eine ganz eigene Persönlichkeit. Die einzigartige, herausfordernde Akkustik im Inneren des Bunkers wusste er brillant einzusetzen. Das Bläserquintett OPUS 45 begleitete die Rezitationen musikalisch mit den Werken jüdischer Komponisten.

Fünf Musiker:innen beim Spieler ihrer Instrumente. Sie sitzen in einem kleinen Stuhlkreis zusammen.
Impressionen des literarischen Kammerkonzerts „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ © Henry Fried
Ein Schauspieler mit einem Textbuch.
Impressionen des literarischen Kammerkonzerts „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ © Henry Fried

Leitmotiv der ersten Hälfte des Konzerts waren die Versuche der bürgerlichen Emanzipation der jüdischen Bevölkerung im 18. und 19. Jahrhundert. Diese Emanzipation begann zwar hoffnungsvoll, erwies sich aber oftmals als schmerzhafte Aufgabe der eigenen Identität. Und nur selten stieß sie auf die Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft.

Den Beginn der jüdischen Emanzipationsbewegung machte Roman Knižka mit der Ankunft des 14 Jahre alten, mittellosen Moses Mendelssohn – späterer Philosoph und Vordenker der Aufklärung – in Berlin im Herbst 1743 erlebbar. Außerdem erzählte in der Rolle von Lessings Nathan dem Weisen die berühmte „Ringparabel“ von religiöser Toleranz und brachte die Lyrik von Heinrich Heine zum Sprechen. Mithilfe von Johann Wolfgang von Goethe illustrierte er die von Enge, Dunkelheit und unzureichenden hygienischen Zuständen geprägten Lebensbedingungen in der „Frankfurter Judengasse“. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren Jüdinnen und Juden gesetzlich gezwungen, in diesem segregierten, extrem dicht besiedelten Ghetto zu leben.

Hass und Gewalt gegenüber jüdischen Menschen bestanden auch dann fort, als sich ihre rechtliche Position zu Beginn des 19. Jahrhunderts – wenngleich äußerst langsam – zunehmend verbesserte. So schilderte Roman Knižka die antisemitischen „Hep-Hep-Krawalle“ von 1819 aus Sicht eines jüdischen Augenzeugens. Mit einer Mischung aus Zorn und Verzweiflung beklagte er, dass niemand der schaulustigen Zuschauer:innen eingriff und dass die Verbrechen in den damaligen Medien keine Beachtung fanden. Die markerschütternden „Hep!“-Schreie rief der Schauspieler voller Inbrunst.

Das Bläserquintett OPUS 45 begleitete die erste Hälfte des Konzerts mit den teils melancholisch, teils beschwingten Klängen von traditionellen Klezmer-Tänzen im 2/4-Takt, mit Kompositionen von Felix Mendelssohn Bartholdy in würdevollem Es-Dur oder auch mit den populären „Five Easy Dances“ von Denès Agay.

Ein Schauspieler bei einem Vortrag, sein Mund ist geöffnet.
Impressionen des literarischen Kammerkonzerts „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ © Henry Fried
Fünf Musiker:innen beim Musizieren.
Impressionen des literarischen Kammerkonzerts „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ © Henry Fried

Zu Beginn der zweiten Hälfte des Konzertes legte Roman Knižka den sich weiter radikalisierenden Antisemitismus ab Ende des 19. Jahrhunderts offen, von dem unter anderem das „Zinnowitzlied“ zeugte – eine Hymne auf ein Ostseebad, das jüdische Badegäste fernhielt. Dabei bewies der Schauspieler seine Fähigkeit, mühelos zwischen den unterschiedlichsten Emotionen zu wechseln. Zum Beispiel imitierte er das wütende Geschrei „Die Juden sind unser Unglück“ des Nationalisten Heinrich von Treitschke, dessen Echo er scheinbar endlos durch den Bunker hallen ließ, um schon im nächsten Moment hilflos und verschreckt aus dem Abschiedsbrief eines jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg vorzulesen.

Während Roman Knižka mit dem Gedicht „Frühling über Berlin“ von Mascha Kaléko noch eine trügerische Idylle im Berlin zu Anfang der 1930er Jahre zeichnete, machte er die Schrecken von Verfolgung und Vernichtung danach umso deutlicher sichtbar. Er rezitierte Else Dormitzer, die eindrücklich von den beginnenden Deportationen jüdischer Menschen und den damit einhergehenden Gefühlen von Angst, Ungewissheit und Bedrohung schrieb. Mit zuerst noch entschlossener, dann aber zunehmend angsterfüllter, zitternder Stimme wiederholte er regelmäßig das Wort „Transport“, bis seine Stimme am Ende der Passage fast zu ersticken schien.

Anschließend las Knižka aus „Ihr sollt die Wahrheit erben“, den Erinnerungen von Anita Lasker-Wallfisch. Darin erinnert sich die Auschwitz-Überlebende an die Torturen, die sie in dem Konzentrations- und Vernichtungslager durchleiden musste – und daran, wie sie als Cellistin des Mädchenorchesters als eine von wenigen überleben konnte. Knižka schloss diese bedrückendste Sequenz des Konzertes mit einem weiteren Gedicht von Mascha Kaléko ab. In „Kaddisch“ berichtet die Dichterin mit erschütternder Offenheit und in schonungsloser Sachlichkeit von der Vernichtung jüdischen Lebens in der Shoah und von den Auswirkungen, die diese für das religiöse und weltliche Leben der letzten verbliebenen Gemeindemitglieder innehat.

Ein Schauspieler während seines Vortrages, hinter ihm die Musiker:innen.
Impressionen des literarischen Kammerkonzerts „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ © Henry Fried
Ein Mann mit einer Querflöte, spielend.
Impressionen des literarischen Kammerkonzerts „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ © Henry Fried

Nach einem Exkurs in die Geschichte der jüdischen Emigration nach 1945, in dem Roman Knizka auch Mascha Kalékos titelgebenden, von Desillusion und Entfremdung geprägten Ausspruch „Ich hatte einst ein schönes Vaterland…“ zitierte, beendete der Schauspieler das literarische Kammerkonzert mit einer Polemik von Max Czollek. Der Berliner Publizist, der jüngst im Zentrum einer Kontroverse um jüdische Identität stand, gab dem Publikum mit seinen Ausführungen zur deutschen Sicht auf Jüdinnen und Juden als „Figuren auf der Bühne des deutschen Gedächtnistheaters“ zu Denken auf und sorgte so dafür, dass die Zuschauer:innen auch noch lange nach Ende des Konzerts über dessen Inhalte nachdenken sollten.

Musikalisch stand die zweite Konzerthälfte vor allem unter dem Zeichen der avantgardistischen Kompositionen György Ligetis sowie der virtuos-eleganten Stücke von Jacques Ibert. Von einer besonderen emotionalen Qualität war das Stück „Ballo eccentrico“ von Pavel Haas, einem Komponisten der im Konzentrationslager Theresienstadt gefangen gehalten und in Auschwitz ermordet wurde.

Die Künsttler:innen stehen in einer Reihe und umarmen sich seitlich.
Impressionen des literarischen Kammerkonzerts „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ © Henry Fried
Die Schauspieler:innen und Muskier:innen nebeneinander stehend beim Schlussapplaus.
Impressionen des literarischen Kammerkonzerts „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ © Henry Fried

Das Publikum aus über 80 Gästen zeigte sich nach dem literarischen Kammermusikabend begeistert von der Leistung des Schauspielers und der Musiker:innen. Noch viel wichtiger ist jedoch, dass das Konzert hoffentlich einen kleinen Beitrag dazu leisten konnte, jüdisches Leben in Deutschland zu einer alltäglichen und selbstverständlichen Normalität werden zu lassen.

„Ich hatte einst ein schönes Vaterland…“ wurde veranstaltet vom Denkort Bunker Valentin / Landeszentrale für politische Bildung Bremen und dem Verein „Erinnern für die Zukunft“ e.V. sowie von der Jüdischen Gemeinde Bremen im Auftrag des Forums für die Förderung des jüdischen Lebens in Bremen und im Rahmen der Jüdischen Kulturtage 2021. Die Veranstaltung wurde gefördert von der Karin und Uwe Hollweg Stiftung, der Waldemar Koch Stiftung, dem Senator für Kultur und der Sparkasse Bremen.

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