Bei der interaktiven Performance Der BOXRING näherten sich neun Künstler:innen am Denkort Bunker Valentin theatral, performativ und tänzerisch dem Thema Erinnerung. Sie zeigten die Notwendigkeit des Erinnerns auf und stellten Fragen an die Erinnerung: Was erinnern wir? Was erinnern wir nicht mehr? Wie lange erinnern wir uns?
Eigens dafür wurde im Inneren des Bunkers eine zweistöckige, 10m² große Arena aus 16 Holzboxen aufgebaut, die von den neun Künstler:innen gestaltet und bespielt wurde: der BOXRING, das Archiv der Erinnerungen.
Am 2. und 3. Oktober 2021 wurde der BOXRING insgesamt sechsmal aufgeführt. Jede Performance des theatralen Rundgangs durch das Archiv der Erinnerungen war ausverkauft. Insgesamt nahmen knapp 180 Besucher:innen am BOXRING teil.
Die beteiligten Künstler:innen entstammten den unterschiedlichsten Disziplinen: von Schauspiel und Comedy über Musik und Komposition bis hin zu multimedialer Kunst und digital dance performance. Grundlage ihres gemeinsamen Wirkens waren die Spuren der eigenen und familiären Geschichte – beginnend im Jahre 1921 bis zum Jahre 2021 –, denen sie in den Monaten vor Beginn des BOXRINGS in ihren individuellen Recherchen nachspürten.
An erinnerungswürdigen Momenten mangelte es den sechs Aufführungen des BOXRINGS nicht. Dabei wechselten sich improvisierte Passagen mit solchen ab, in denen es festgelegte Programmpunkte gab. So erfand sich der BOXRING bei jeder Vorstellung neu.
Nach einer Begrüßung durch Stefan Bertholt, Koordinator des Projekts und „Archivleiter“ des Archivs der Erinnerungen, waren die Besucher:innen dazu eingeladen, Fragen zu verschiedenen Aspekten des Themenkomplexes Erinnerungen zu beantworten, die spektakulär an die Innenwand des Bunkers projiziert wurden: „Besitzt du noch Gegenständeaus deiner Kindheit?“ „Verbindest du Erinnerungen mit Klängen?“ „Setzt dich das Vergehen der Zeit unter Druck?“ „Gibt es etwas, das du noch nie jemandem erzählt hast?“ Die Antworten stanzten die Besucher:innen in antiquierte Lochkarten, denen im späteren Verlauf der Performance noch eine besondere Bedeutung zukommen sollte.
Den ersten Programmpunkt bildeten Performances von Stefan Bertholt und von Dirk Langer. Stefan Bertholt erzählte den Besucher:innen im oberen Stockwerk des BOXRINGS von einer kuriosen Begebenheit, die sein Urgroßvater – ein Instrumentenbauer – während seiner Reise zur Weltausstellung in Paris im Jahre 1900 erlebte. Danach blickte der Komiker und Musiker Dirk Langer auf seine Anfänge als Geschichtenerzähler zurück und bot hinter seiner Schreibmaschine drei Anekdoten dar, bei denen Trauer und Witz nah beieinander lagen.
Die Besucher:innen bekamen anschließend die Gelegenheit, die faszinierenden Installationen in den Holzboxen frei zu erkunden, die von den Künstler:innen, in ihren Rollen als Archivarinnen und Archivare der Erinnerung, kuratiert wurden und an denen sich das Publikum aktiv beteiligen konnte. So zeichnete sich der Komponist und multimediale Künstler Riccardo Castagnola unter anderem für eine Installation verantwortlich, in der die Antworten, die die Besucher:innen zu Beginn der Performance in ihre Lochkarten gestanzt hatten, in Klänge verwandelt wurden. Die Künstlerin Sophia Bizer setzte sich in ihren Installationen hingegen mit der Welt der materiellen Objekte und natürlichen Materialen, wie Pflanzen, Steinen usw. auseinander, die erst durch die Mitwirkung der Besucher:innen zum Leben erweckt wurden. Die Bühnenbilderin Lea Dietrich backte in ihrer„Erinnerungsbäckerei“ sogar Brötchen für die Gäste. Zu deren großer Überraschung fanden sie darin einen Zettel eingebacken, auf dem Lea Dietrich eine individuelle, personalisierte Reaktion auf die per Lochkarte beantworteten Fragen notiert hatte.
Jede Aufführung des BOXRINGS gipfelte in einer fulminanten, expressiven Tanzperformance des Tänzer:innenkollektivs serendipity, bestehend aus den Tänzerinnen Laura Egge, Myra Wieland und Leonie Koeniger sowie dem Koordinator Knut Lagies. Während die Besucher:innen von den Rängen des oberen Stockwerks der Arena zusahen, führten die drei Tänzerinnen einen spektakulären Tanz mit schauspielerischen Szenen auf, in dem sie Eindrücke aus ihrer Kindheit und Jugend verarbeiteten. Währenddessen projizierte Knut Lagies visuelle Eindrücke auf den Boden des BOXRINGS, die wie flüchtige Erinnerungen um die Tänzerinnen schwebten. In manchen Momenten schienen die Tänzerinnen mit den impressionistisch-futuristischen Mustern und Figuren zu verschmelzen, an anderen Stellen vor ihnen zu flüchten oder gegen sie anzukämpfen.
Nach der Performance beschrieb Stefan Bertholt, künstlerischer Leiter des BOXRINGS, die Reaktionen des Publikums als sehr bewegt, vor allem deshalb, weil die Besucher:innen es nicht oft erlebten, dass Künstler:innen persönliche Erinnerung derart offen zur Schau stellten bzw. so sehr zum Thema ihrer künstlerischen Arbeit machten. Die Reaktionen des Publikums seien sehr nah gewesen, die Distanz zwischen Publikum und Künstler:innen habe sich im Laufe der Performance aufgelöst. Vor allem seien die Besucher:innen dazu angeregt gewesen, über sich selbst, ihre Biographien und ihr eigenes Verständnis von Erinnerungen zu reflektieren. Am Ende der Performance bekamen die Besucher:innen die Gelegenheit, die ausliegenden Pappkartons mit ihren eigenen, persönlichen Erinnerungsartefakten zu befüllen. Die Erinnerungen werden nun mit dem BOXRING auf Reise gehen und an anderen denkwürdigen Orten in weitere Ausgaben der Performance einfließen. Eines dieser Erinnerungsstücke ist ein Stück Beton aus der Mauer des Bunkers „Valentin“, den unser Team dem BOXRING als Andenken an eine gelungene erste Ausgabe mitgegeben hat.
Der BOXRING wurde veranstaltet vom Denkort Bunker Valentin / Landeszentrale für politische Bildung Bremen, dem theaterkontor Bremen, dem Verein „Erinnern für die Zukunft“ e.V., und der Arbeitnehmerkammer Bremen. Die Veranstaltung wurde gefördert von der Karin und Uwe Hollweg Stiftung, der Waldemar Koch Stiftung, dem Senator für Kultur und der Sparkasse Bremen sowie vom Fonds Darstellende Künste im Rahmen von NEUSTART KULTUR #TakeAction.
Akteur:innen
Künstlerische Leitung: Stefan Berthold
Projektleitung: Frederieke Behrens
Produktionsassistenz: Marthe-Louise Bentz
Künstler:innen:
Sophia Bizer (Künstlerin)
Riccardo Castagnola (Komponist, Performer, multimedialer Künstler)
Lea Dietrich (Bühnenbildnerin)
Dirk Langer (Schauspieler, Musiker, Komiker und Seemann)
Serendipity (Künstler:innengruppe, digital dance performance)