Grußwort Marian Hawling 00:00 Grüße aus Sidney, Australien! Meine Damen und Herren, verehrte Gäste, mein Name ist Marian Hawling. Ich wurde in Polen geboren, in der Stadt Lwow, welche in der heutigen Ukraine liegt. Ich möchte den Organisatoren für die Einladung danken. Ich bin so furchtbar enttäuscht, dass ich Ihrer Einladung nicht Folge leisten konnte. Aber zumindest bin ich sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit bekomme, einige Worte an Sie zu richten. 00:45 Meine ganze Geschichte begann auf dem Alexanderplatz in Berlin im Hauptquartier der Gestapo, wo ich in eine Einzelzelle gesperrt wurde. Das war ein berüchtigter Ort, nur wenige, die jemals dort hineinkamen, kamen lebend wieder heraus. Und diejenigen, die wenigen Glücklichen, die heraus kamen, wurden in Konzentrationslager gebracht. Nun, ich war einer dieser wenigen Glücklichen. Ich kam nach Sachsenhausen, dann in ein Arbeits-Kommando auf die Insel Aldernay, dann nach Neuengamme und dann: Farge. Als wir in Farge ankamen, waren wir überrascht, dass nun dieser große Bunker unser Quartier werden sollte. Aber, davon abgesehen, gab es keinen Unterschied: Die Betten waren die gleichen, die Suppe genauso wässrig, die Brotrationen genauso klein und die Kapos genauso brutal. 01:51 Wenn wir von Brutalität reden, muss ich Unterscharführer Reiser erwähnen. Er war der brutalste SS-Mann, den ich in Konzentrationslagern gesehen habe. Er lief herum, warf mit Beschimpfungen um sich, teilte Tritte und Schläge aus, links, rechts und in die Mitte. Die polnischen Gefangenen gaben ihm den Spitznamen Maciejewski. Maciejewski war ein Henker des Staates in Polen vor dem Krieg. 00:22 (Nun, es gab nicht viele,) ….ansonsten gab es nicht viele SS Männer in Farge. Stundenlang trug ich Zement-Säcke auf dem Rücken, Tag für Tag, Tag für Tag. Dann erreichte ich das Stadium, in dem ich schwächer wurde. Ich wurde dünn, meine Beine schwollen sehr schlimm an. Und so wurde ich zum „Muselmann“. Nun, sobald man seine Energie verliert und zum Muselmann wird, dann bist du mehr Schlägen ausgesetzt und jeder schubst dich herum. 03:10 Und nun, eines Tages, wurde ich zum Arbeiten rauf aufs Dach des Bauwerks geschickt und da arbeiteten ein paar deutsche Zivilisten. Sie waren mehr oder weniger verantwortlich. Sie waren weder freundlich noch unfreundlich. Um da rauf zu kommen, musste man eine Treppe benutzen, die außen an der Wand des Bauwerks befestigt war. Das war eine sehr unsichere Treppe. 03:55 Und eines Tages, auf dem Weg zurück zur Arbeit, von ... Entschuldigung ... auf dem Weg zum Bunker von der Arbeit, gab es eine Exekution. Aber etwas ging schief. Als wir vorbei liefen, brach die Konstruktion zusammen und das arme Opfer fiel zu Boden. Er war noch voll am Leben… fassungslos. Uns wurde befohlen anzuhalten. Es gab ein Durcheinander, es gab Schläge, sie fingen an, die Konstruktion wieder aufzubauen, alle liefen durcheinander, um sie wieder aufzubauen aber, wie befremdlich, das Opfer war der Aktivste von allen. Er half allen und rief: “Schnell, schnell!” Was ging nur in seinem Kopf vor? Es war schrecklich! Es war ein Deutscher, um die 45 Jahre alt. Ich weiß nicht, warum sie ihn hängten. Wir mussten also stehenbleiben und warten, bis sie die Konstruktion wieder aufgestellt hatten und der zweite Versuch erfolgreich war. Aber der arme Kerl, der musste zweimal dieses schreckliche Erlebnis ertragen. In Neuengamme hatten wir einen Galgen, an dem man drei Männer gleichzeitig hängen konnte. Aber in Farge hatten sie keinen und mussten improvisieren. Nun, das ist etwaswas mir sehr lebendig in Erinnerung geblieben ist. 05.53 Eines Tages, ich wurde immer schwächer und schwächer, aber dann eines Tages, als wir unsere kurze Mittagspause hatten um unsere Wassersuppe zu essen und ungefähr 30 Meter entfernt vom Bauwerk saßen und aßen, kam ein Flugzeug, ganz plötzlich. Und es flog sehr tief und schien sehr langsam zu fliegen, und sie flogen über das Gebäude, warfen eine Bombe ab und es gab eine riesige Explosion. Dann drehte es um und flog wieder weg. Der Schaden war nicht zu reparieren und wir wurden nach Neuengamme zurück geschickt. Allerdings war dies gut für die Moral! Denn wenn ein feindliches Flugzeug am hellichten Tag kommen, tief fliegen und seine Bomben abwerfen kann, ohne gestört zu werden, dann konnte der Krieg nicht mehr lange dauern. Das war also sehr, sehr gut für die Moral! 07:13 Ich muss sagen, dass mir nach der Befreiung eines aufgefallen ist: Überlebende der Konzentrationslager liebten es, wenn sie sich trafen, über ihr Leid und ihre schrecklichen Erfahrungen zu sprechen. Aber mir kam das nicht in den Sinn. Ich erinnere mich, am zweiten Tag, nachdem ich von der Cap Arcona an Land gekommen war, schaffte ich es auf meinen geschwollenen Beinen zu einem Punkt zu gehen, von wo ich sehen konnte, wie die Cap Arconain der Lübecker Bucht auf der Seite lag. Ich schaute sie mir eine lange Zeit an und eine Menge Gedanken gingen mir durch den Kopf. Und eines wurde mir klar: Ich war gerade mal 20 Jahre alt, ich hatte ein langes Leben vor mir und würde ich den Rest meines Lebens damit verbringen, über mein Leid zu sprechen, über die schrecklichen Dinge, die ich erduldet hatte, dann würde das mein Hirn vergiften. Also habe ich mich entschlossen, alles aus meinem Gedächtnis zu streichen und so weit fortzugehen, wie nur möglich. Und alles zu vergessen – wenn ich kann. Und das tat ich. Ich bin weit genug weg gegangen, ich hätte nicht weiter weg gehen können. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: ich war schon seit einigen Jahren verheiratet und nicht einmal meine Frau wusste, dass ich in einem Konzentrationslager gewesen war. Ich habe es nie erwähnt. Aber dann, vor 15 oder 20 Jahren, sprachen wir über den Krieg und mein Sohn sagte zu mir: „Dad, was hast du während des Krieges gemacht?“ Und da hatte ich keine andere Wahl als meiner Familie alles zu erzählen. Und ich stellte fest, dass es mich nicht mehr quält. Und dann wollte ich diese Orte besuchen. Ich war bereit dafür. Also besuchte ich zweimal Neuengamme, mit meiner Frau und einmal mit meinen Kindern. Und das waren sehr bewegende Erfahrungen, besonders die Reise in die Lübecker Bucht, wo die Cap Arcona gesunken ist. 10:07 Und nun wäre ich sehr gerne bei Ihnen, um Farge zu besuchen, weil ich Farge vorher noch nicht besucht habe. Aber ich bin sehr froh darüber, dass es nun eröffnet wird. Das wird helfen, die Erinnerungen an damals lebendig zu halten. Alles was ich sagen kann ist: Vielen Dank an die Organisatoren, die mir die Gelegenheit gegeben haben, einige Worte an Sie zu richten. — Alles Gute!